Wie Sie Melatonin Mangel erkennen und behandeln können
Der menschliche Organismus benötigt Schlaf. So einfach und abgedroschen die Aussage klingen mag, so entscheidend ist sie doch im Hinblick auf die Gesundheit des Menschen. Gerade im Tiefschlaf laufen wichtige Stoffwechselprozesse ab.
Während einige Hormone in der Schlafphase unter Hochdruck arbeiten, – wie etwa Somatropin, das maßgeblich Einfluss auf die Stärkung von Sehnen, Bindegewebe und Muskulatur hat – drosseln andere bestimmte Körperfunktionen, die einem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus unterliegen. So ist besonders ein Hormon in aller Munde, das allnächtlich im gesunden Organismus dafür sorgt, dass sich der Blutdruck absenkt, die Nierenfunktion reguliert und die Insulinausschüttung reduziert: Melatonin.
Dabei hat sich der in der Zirbeldrüse hergestellte hormonelle Botenstoff in der medialen Darstellung angeblich als scheinbares Wundermittel gegen Schlaflosigkeit erwiesen. Um seine wirkliche Bedeutung und Wirksamkeit ranken sich jedoch leider allzu viele Mythen, die in einer vorschnellen Propagierung als „Anti-Aging-Wunderwaffe“ mündeten.
So wurde eine Reihe von nachgewiesenermaßen positiven Eigenschaften für den Biorhythmus bei Mensch und Tier überschätzt – ein Umstand, welcher der Gesamtbedeutung des Hormons nicht gerecht werden kann. Was ist letztlich dran, an der angeblichen „Schlaf-Wunderwaffe“ Melatonin, wo endet die Faktenlage und wo beginnt das Reich der Fantasie?
Wann tritt Melatonin aus?
Idealerweise schüttet der Organismus während der Nachtruhe den Botenstoff und Stoffwechsel-Taktgeber Melatonin aus. Nachgewiesenermaßen kann Melatonin den Stoffwechsel zeitabhängig synchronisieren, indem es nachts die Insulinausschüttung drosselt und körpereigene Fettzellen anregt, Fett freizusetzen.
Eine aufwendige Analyse sämtlicher Melatonin Studien von iNutro.com zeigt, dass mit dem Aufwachen die Melatonin-Konzentration im Blut sinkt und somit bereits am frühen Morgen zu einer Umkehrung der Stoffwechselprozesse führt. Melatonin schaltet, den Körper somit Abends in einen fastenähnlichen Zustand, während die Abwesenheit von Melatonin tagsüber dem Körper eine bessere Verarbeitung und Absorption der aufgenommenen Nahrung ermöglicht.
Aus den Beobachtungen heraus haben sich Spekulationen entwickelt, nach denen eine Störung des humanbiologischen Schlaf-Wach-Rhythmus zu tendenzieller Gewichtszunahme führt. So wurde in einigen Studien die Ursache für Übergewicht bei Schichtarbeitern erforscht und parallel dabei ein Melatonin-Mangel diagnostiziert.
Eine Untersuchung etwa kam dabei zu dem Schluss, dass blaues Licht am Abend und in der Nacht eine nachteilige Wirkung darauf hat, wie Glukose vom Körper umgewandelt wird.
Melatonin reguliert nicht nur die biologische Uhr, sondern ist in der Lage, einen krankhaft erhöhten Bluthochdruck zu senken.
Mehr noch: Blaues Licht in den Nachtstunden stört den natürlichen Wach-Schlaf-Rhythmus, der vom Vorhandensein natürlichen Tageslichts gesteuert wird.
Melatonin, der Stoffwechselmotor
Wenn die Augen-Netzhäute geringe Lichtverhältnisse wahrnehmen, wird eine Nachricht an den sogenannten suprachiasmatischen Nucleus des Hypothalamus gesendet, der wiederum die Zirbeldrüse zur Melatonin-Ausschüttung anregt. Eine hellere, abendliche oder nächtliche Bestrahlung der Augen verhindert oder drosselt den Ausschüttungsprozess, der Körper kann nicht auf Sparflamme umschalten, um mittels Melatonin die notwendigen Stoffwechselprozesse während der nächtlichen Nachtruhe ablaufen zu lassen.
So hat die Neuro-Wissenschaftlerin und Studienleiterin Ivy Cheung von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago/Illinois in ihrer jüngsten Studie herausgefunden, dass Tageslicht den Stoffwechsel und die Insulin-Produktion triggert.
Demzufolge wiesen Probanden nach abendlichen Mahlzeiten bei hoher Lichtkonzentration höhere Glukosewerte auf und verdauten langsamer als Studienteilnehmer, die ihre Nahrung bei Dämmerlicht zu sich nahmen. Ihre Studienergebnisse legen die Vermutung nahe, dass ein durchschnittlich höheres Körpergewicht bei Nacht- und Schichtarbeitern für erhöhten Blutzucker und geringere Insulinausschüttung verantwortlich ist, was letztlich auf eine gestörte Melatonin-Produktion und -ausschüttung zurückzuführen ist.
Ihr Studien-Fazit: Unter dem Einfluss von Licht hemmt die Zirbeldrüse die Synthese von Melatonin aus dem Ausgangsstoff Serotonin. Beide sind biochemische Botenstoffe, welche die Reizübertragung zwischen Nervenzellen und anderen Zellen steuern. Der Wechsel von Hell und Dunkel entscheidet dabei über die Körpersynthese von Melatonin. Bleibt sie aus, bleiben Stoffwechselprozesse aus, welche etwa die Bildung von Diabetes verhindern helfen – ein für den Organismus fataler Kreislauf setzt sich in Gang.
Melatonin-Mangel äußert sich oftmals in Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, in Schlafstörungen, Müdigkeit und Winterdepressionen, und kann medikamentös behandelt werden.
Schlafstörungen = Melatonin-Mangel? Auf Schlafhygiene achten
Das würde auch erklären, warum gerade ältere Menschen eher unter Schlafstörungen leiden. Untersuchungen wie etwa die von Zhou, Liu, van Heerikhuize und Hofman aus dem Jahr 2002 haben gezeigt, dass ab dem 30. Lebensjahr die körpereigene Melatonin Produktion von Jahr zu Jahr sinkt. So schüttet der Körper eines 70-Jährigen nur noch etwa die Hälfte an Melatonin aus, wie der Organismus eines jungen Mannes.
Da Melatonin von außen dem Körper zugeführt werden kann, ist es aufgrund der erwiesenermaßen positiven Effekte in einer Dosierung von zwei Milligramm für über 55-jährige Patienten zur Behandlung primärer Schlafstörungen auf Rezept zugelassen. Allerdings sollte die Einnahme nur von kurzer Dauer sein, da Langzeitwirkungen bislang nicht ausreichend erforscht sind.
Bei Jung wie Alt wird der Höhepunkt der Ausschüttung generell jeweils gegen 03:00 Uhr morgens erreicht und unterliegt darüber hinaus jahreszeitlichen Schwankungen.
Melatonin-Mangel ist jedoch auch von Umweltfaktoren wie die langen Nächte und kurzen Tage im Winter, Polarnächte und Jetlag-Phänomene abhängig, die ebenfalls den chronobiologischen Rhythmus außer Takt setzen und eine geregelte Periodik der Melatonin-Ausschüttung beeinträchtigen können.
Aus den Studienbefunden hat sich ein Verhaltenskodex vor dem Hintergrund einer gesunden Schlafhygiene entwickelt, der einige universelle Postulate beinhaltet.
So wird von Schlafexperten allgemein empfohlen,
- nach Möglichkeit Nachtschichtarbeit weitgehend zu reduzieren oder gänzlich zu vermeiden
- sich vor dem Schlafengehen keinem allzu grellem Licht auszusetzen, das über höhere, tageslichtähnliche Blauanteile verfügt (helles Bildschirm- oder Display-Licht, das der Lichtintensität am Tag nahekommt)
- das Schlafzimmer so weit als möglich abzudunkeln
- sich beim allmorgendlichen Aufstehen direkt einer hellen Lichtquelle auszusetzen (idealerweise Tageslicht), um den inneren Takt (den sogenannten „Zirkadianen-Rhythmus“) einzuhalten oder bei fehlender natürlicher Lichtquelle zu simulieren.
Botenstoff und Antioxidans
Der Wach-Schlaf-Rhythmus wird auch als Zirkadianen-Rhythmus bezeichnet, und kennzeichnet den Takt, in dem das Melatonin als Botenstoff zu den einzelnen Körperzellen wandert, und sie über die aktuelle Tageszeit informiert.
Wie eine Art Wecker setzt das Hormon Zellfunktionen in Gang oder außer Kraft. Das gilt auch für Proteine, die nachweislich an einer Aktivierung oder auch an einem Außer-Kraft-Setzen von Tumorzellen beteiligt sind.
Veränderungen im Melatonin-Haushalt treten besonders häufig im Winter auf, da der Spiegel des Hormons durch das wenige Tageslicht auch tagsüber erhöht bleibt.
Klinische Studien haben nachgewiesen, dass Frauen etwa, die in Nachtschichten arbeiteten, ein genauso erhöhtes Aufkommen von Brustkrebs zeigten, wie Frauen, die vermehrten Lichtsmog ausgesetzt waren.
Dazu zählt künstliche Beleuchtung während der Nachtphasen, sei es durch die Straßenlichter in Großstädten oder Displays von Smartphones und Tablets vor dem Schlafengehen. Dagegen zeigte eine Gruppe blinder Frauen ein weitaus geringeres Erkrankungsrisiko. Melatonin scheint demnach auch als natürliche Krebsabwehr und Ergänzung einer Krebstherapie von erhöhter Bedeutung zu sein.
Weitere klinische Studien konnten die Ergebnisse untermauern. Dabei wurden Krebspatienten zusätzlich zur konventionellen Chemotherapie auch mit Melatonin in hoher Dosierung von durchschnittlich 20 mg täglich versorgt. Die Resultate zeitigten in der Probandengruppe eine geringere Sterblichkeitsquote nach einem Zeitraum von einem Jahr. Auch konnten die belastenden Nebenwirklungen der Chemotherapie wie Übelkeit oder Erbrechen gemildert und eine weitere Ausbreitung der Krebszellen vermieden werden.
So wird das Hormon dank seiner anti-oxidativen Eigenschaften oftmals auch zu Vorbeugung und unterstützenden Behandlung in der Krebstherapie eingesetzt. Dennoch kamen bislang sämtliche Studien und Untersuchungen über günstige Auswirkungen von Melatonin im Rahmen einer Krebstherapie immer wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen, der Nachweis eines eindeutigen, ursächlichen Zusammenhangs steht bislang noch aus.
Vor dem Hintergrund sollte im Rahmen einer Beurteilung des angeblichen „Anti-Aging- und Krebs-Wundermittels“ Melatonin mit nüchterner Skepsis begegnet werden. Einige Hinweise deuten zumindest auf eine mögliche günstige Beeinflussung des Erkrankungs-Verlaufs und Linderung der vom Betroffenen als belastend empfundenen Symptomatik.