Magersucht – Essstörung mit lebensgefährlichen Folgen
Bei einem magersüchtigen Menschen wird der gesamte Tag von Gedanken an Essen und das eigene Gewicht bestimmt. Obwohl sie oftmals nur noch aus Haut und Knochen bestehen, haben sie das krankhafte Bedürfnis ständig ihr Gewicht zu reduzieren und fühlen sich fortlaufend zu dick.
Wer hier nicht aufpasst oder sich keine Hilfe sucht, gerät schnell in einer immer tiefer werdenden Spirale mit nicht zu unterschätzenden körperlichen und gesundheitlichen Folgen. Bei ca. 15 % aller Magersüchtigen endet die Spirale tödlich – sie hungern sich sprichwörtlich zu Tode oder begehen als letzten Ausweg Selbstmord.
Erfahren Sie bei uns, wodurch Magersucht eigentlich entsteht, welche Symptome und Folgen die Krankheit haben kann, welche Therapien es gibt und wie Angehörige eines Magersüchtigen helfen können.
Was ist Magersucht eigentlich?
Anorexia nervosa, so der fachlich korrekte Begriff für Magersucht, ist die weltweit am häufigsten vorkommende seelisch bedingte Essstörung. Und leider auch die am häufigsten tödlich endende psychische Erkrankung. Die meisten Magersüchtigen hatten in der Regel zuvor leichtes bis starkes Übergewicht und waren unzufrieden mit sich selbst. Die typische Geschichte eines an Magersucht erkrankten Menschen klingt in etwa so:
Julia wiegt 69 Kilo bei einer Körpergröße von 165 cm. Obwohl sie im Grunde ganz zufrieden mit ihrer Figur ist und ihr Freund immer wieder betont, dass er sie sehr attraktiv findet, möchte Julia gerne das ein oder andere Kilo loswerden. Außerdem ist da noch diese eine Lieblingsjeans, in die sie gerne wieder reinpassen würde – ist ja auch nur eine Nummer zu klein. Toll wäre es auch, wenn sie das echt schicke Abendkleid, welches sie beim letzten Stadtbummel anprobiert hat, bei dem aber der Reißverschluss nicht zu ging, anziehen könnte. Auch die Mädels auf den zahlreichen Plakaten und in der Werbung sehen mit ihrer perfekten Bikinifigur echt toll aus.
Die erklärten Ziele sind also gesteckt und Julia beginnt radikal mit einem absoluten Verzicht auf alles, was viel Zucker, Kohlenhydrate oder Kalorien hat. Zudem checkt sie im Internet noch schnell ihren Body-Mass-Index (BMI), der bei 25,34 liegt. Unter Berücksichtigung der Körpergröße, müsste sie zwischen 51 und 67 Kilogramm wiegen, was einem BMI von 18,5 bis 24,9 entspricht, um als „Normalgewichtig“ zu gelten. Aktuell ist Julia also nach der Berechnung ihres BMI leicht übergewichtig. Binnen kürzester Zeit wird aus dem morgendlichen Brötchen mit Butter und Marmelade eine Scheibe Kohlrabi, aus dem bunt gemischten Mittagsbuffet beim Asiaten ein kleiner gemischter Salat ohne Dressing und am Abend wird komplett auf Essen verzichtet. Zu trinken gibt es nur noch Wasser oder ungesüßten Tee. Getreu dem Motto: „Wer wenig isst, nimmt viel ab“. Einige Wochen später passt ihr die Lieblingsjeans wieder und auch das Abendkleid, mit dem sie sich selbst für ihren Erfolg belohnt. Jetzt, wo sie schon mal dabei ist, gehen doch mit Sicherheit auch noch ein paar Kilos mehr, oder? Dann wäre Julia bald genauso schlank und rank wie die Mädels in der Werbung. Also hungert Julia weiter. Seit Kurzem nimmt sie auch Abführmittel und Entwässerungstabletten. In einem Internetforum hat sie gelesen, dass dadurch unzählige Kilos in kürzester Zeit purzeln.
Spaß macht ihr das irgendwie nicht so richtig und der permanente Hunger bzw. das Verlangen nach etwas Essbarem zerrt sehr an ihrem Nervenkostüm. Zudem ist sie in letzter Zeit häufig krank, schlecht gelaunt, müde und unkonzentriert. Dass der Grund dafür ein Nährstoffmangel und ein schwächelndes Immunsystem wegen ihrer Unterernährung sein könnte, kommt Julia nicht in den Sinn. Und weil Torte, Popcorn oder Burger dick machen, fehlt Julia auch ständig bei Geburtstagspartys, beim Gang ins Kino mit Freunden oder lehnt die Einladung ihres Freundes zu einem schicken Dinner beim Lieblingsitaliener ab. Die besorgten Blicke ihrer besten Freundin und auch die ihres Partners sowie der Familie prallen an Julia ab. Alle Gespräche mit ihr und der Vorschlag, sich Hilfe zu suchen, verlaufen im Sand.
Inzwischen wiegt Julia nur noch 42 Kilo, sieht ausgehungert und abgemagert aus. Jeder einzelne Knochen ist zu sehen, die gesunde Röte an ihren Wangen ist verschwunden, Augenpartien und Kiefer sind eingefallen. Das sie mit ihrem aktuellen Gewicht als absolut untergewichtig gilt, interessiert Julia nicht. Sie fühlt sich immer noch zu fett und arbeitet fleißig weiter an ihrer Gewichtsreduzierung. Damit ihr nahes Umfeld jedoch keinen weiteren Verdacht schöpft, trägt sie mehrere Kleidungsstücke übereinander. Nach außen sieht man so nämlich nicht so schnell, wie dünn sie wirklich ist. Freund hat sich im Übrigen vor Kurzem von ihr getrennt, da er trotz seiner Engelsgeduld den psychischen Druck nicht mehr aushält. Außer ihrer besten Freundin und ihren Eltern ist ihr keiner mehr geblieben. Wenn Julia nicht sofort die Reißleine zieht und sich aus dem Sog der Magersucht befreit, geht sie unter.
Die beispielhafte Geschichte von Julia, lässt sich im Übrigen auch auf das männliche Geschlecht und alle Altersgruppen übertragen. An Magersucht erkrankte Menschen nehmen mutwillig in Kauf, dass sie sämtliche soziale Kontakte verlieren und immer tiefer in ihrer eigenen Welt leben. Sie wollen sich auch oftmals nicht helfen lassen oder freiwillig in Therapie begeben, weil sie das Problem nicht erkennen bzw. erkennen wollen. Neben der Verweigerung der Nahrung ist der Verlust des Gewichts ein eindeutiges Anzeichen für eine Magersucht. Erkrankte wissen diesen Umstand jedoch zu verbergen, indem sie Kleidungsstücke in mehreren Schichten tragen.
Welche Ursachen kann Magersucht haben?
Wie bereits anhand der Beispielstory von Julia ersichtlich, zählen leichtes bis starkes Übergewicht und eine tendenzielle Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zu den möglichen Entstehungsgründen für eine Essstörung. Meistens entsteht Magersucht jedoch aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Ursachen. Folgende Faktoren können ausschlaggebend für die Entstehung der Krankheit sein:
Biologische Ursachen
Gibt es innerhalb der Familie bereits eine oder mehrere Personen, die an Magersucht erkrankt sind, besteht für die Nachkommen ein erhöhtes Risiko ebenfalls an Anorexia zu leiden. Grund hierfür ist eine genetische Veranlagung. Eine internationale Studie fand heraus, dass ein Gen auf dem Chromosom 12 die Entstehung und Entwicklung von Magersucht begünstigt.
Gesellschaftliche und familiäre Ursachen
Der gesellschaftliche Schlankheitswahn und die in den Medien verbreiteten Schönheitsideale von schlanken Bikinifiguren und muskulösen Beach-Bodys tragen maßgeblich zu den Ursachen für eine Magersucht bei. Das betrifft insbesondere junge Frauen und Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Hinzu kommen folgende Persönlichkeitsmerkmale:
- geringes Selbstwertgefühl,
- erhöhte Zwanghaftigkeit,
- Hang zum Perfektionismus,
- Selbstzweifel,
- hohe Disziplin,
- ängstlich und konfliktscheu,
- hoher Leistungsanspruch an sich selbst.
Menschen mit den oben genannten Charakterzügen erkranken deutlich häufiger an Anorexie, als andere.
Psychische Ursachen
Bei einem Großteil der Magersüchtigen stellt sich heraus, dass sie an einem Trauma leiden. Sie haben irgendwann in ihrem bisherigen Leben etwas erlebt, was sie bis heute nicht richtig verarbeitet haben. Das können zum Beispiel der Verlust eines geliebten Menschen, die Scheidung der Eltern, Mobbing, Missbrauch oder Gewalterlebnisse sein. Selbst ein Umzug oder ein Schulwechsel sowie eine generelle Veränderung des gewohnten Umfelds kommen als Ursache infrage.
Welche Symptome gibt es bei Magersucht?
Die Symptome einer Magersucht kommen schleichend und sind erst spät erkennbar. Die Alarmglocken von Angehörigen oder dem engen Freundeskreis sollten jedoch spätestens dann schrillen, wenn die betroffene Person trotz drohendem Untergewicht weiter Körpergewicht verliert. Zudem kreisen die Gedanken fast ausschließlich nur noch um das Essen, das Gewicht und die Figur. Weitere Symptome sind:
- Gleichgültigkeit
- Depressiv, zwanghaft und ängstlich
- Gereiztheit
- Kreislaufbeschwerden
- Konzentrationsprobleme
- Haarausfall
- Brüchige Nägel
- Trockene und juckende Haut
- Vernachlässigung der sozialen Kontakte und Interessen
- Stetige Kontrolle der Nahrungsmittel
- Gestörtes Essverhalten
- Mangelerscheinungen aufgrund fehlender Nährstoffe (z.B. müde, frieren)
Ein weiteres sehr typisches und auffälliges Merkmal, ist die völlig verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körperbildes. So halten sich viele Magersüchtige beim Blick in den Spiegel für übergewichtig. Sie lassen sich auch nicht von einem faktischen Untergewicht überzeugen.
Welche Folgen kann Magersucht haben?
Magersucht hat nicht nur Folgen auf die Psyche, sondern vor allem auf den Körper.
- Hirnschwund
- Herzrhythmusstörungen
- Niedriger Puls
- Niedriger Blutdruck
- Verlangsamter Herzschlag
- Nierenschäden
- Leberfunktionsstörungen
- Verstopfung
- Wasseransammlungen im Gewebe (Ödeme)
- Häufige und starke Infektionen
- Sexuelle Lustlosigkeit
- Potenzverlust
- Unfruchtbarkeit
- Ausbleiben der Monatsblutung
- Osteoporose (Abnahme der Knochenmasse)
- Verlangsamung des Wachstums
Insbesondere bei jungen Heranwachsenden kann eine Essstörung fatale Folgen haben. So führt ein erheblicher Nährstoffmangel zum Beispiel zu einer Verzögerung der Pubertät oder der körperlichen Entwicklung.
Warum bleibt bei Magersucht die Periode aus und wann kommt sie wieder?
Viele junge Mädchen und Frauen merken im Verlauf ihrer Magersucht, dass die Periode irgendwann unregelmäßig kommt und schließlich gänzlich ausbleibt. Was für manche Frauen wie ein Segen klingt, kann in Wahrheit weitreichende Folgen haben. Grund für das Ausbleiben der Monatsblutung ist die Unterschreitung eines gewissen Werts des Körperfettanteils. Ist das der Fall, werden nicht mehr genügend Hormone für die Simulation des Eisprungs produziert und die Periode bleibt aus.
Ein weiterer und entscheidender Faktor ist der anhaltende Nährstoffmangel, der den Körper irgendwann in einen reinen „Überlebensmodus“ versetzt. In einer solchen Situation merkt der Körper, dass eine Schwangerschaft Mutter und Kind ernsthaft gefährden würde, und verhindert kurzerhand den Eisprung.
Ob der Menstruationszyklus irgendwann wiederkommt und somit auch die Chance besteht, schwanger zu werden, kann pauschal nicht beantwortet werden. Bei den meisten Mädchen und Frauen bleibt die Periode auch noch mehrere Jahre nach der Magersuchterkrankung und Erreichen des Normalgewichts aus.
Magersucht – ab wann sollte man ins Krankenhaus?
Spätestens dann, wenn die Anorexie lebensbedrohliche Ausmaße annimmt, ist eine Einweisung ins Krankenhaus unumgänglich. Lebensbedrohliche Ausmaße bedeutet, dass der oder die Betroffene zum Beispiel einen Schwächeanfall erleidet oder akut Suizid gefährdet sind. Auch wenn ein lebensbedrohliches Untergewicht besteht (unter 42 Kilogramm Körpergewicht), ist die Einweisung in ein Krankenhaus unumgänglich. Bei einer Kachexie sind die Fettreserven des Körpers fast komplett aufgebraucht und größere Mengen an Muskeln bereits abgebaut. Sichtbar wird das, wenn die Konturen der Knochen stark hervortreten, die Wangen hohl wirken und die Augen „tief“ liegen.
Wie kann Magersucht behandelt und überwunden werden?
Viele Menschen mit einer Essstörung sind der überzeugten Meinung, ihre Krankheit vollkommen im Griff zu haben oder gestehen sich noch nicht einmal ein, überhaupt krank zu sein. Irgendwann kommt jedoch der Punkt, an dem die Magersucht den gesamten Tagesablauf bestimmt und sich die ersten körperlichen Einschränkungen bemerkbar machen. Spätestens jetzt sollten sich Betroffene professionelle Hilfe suchen. In der Regel ist der Hausarzt oder Kinderarzt die erste Anlaufstelle. Aber auch Beratungsstellen, Psychotherapeuten und auf Essstörungen spezialisierte Ambulanzen können helfen.
Mit Medikamenten lässt sich Magersucht leider nicht heilen. Lediglich eine Psychotherapie oder Ernährungstherapie mit begleitender ärztlicher Betreuung kann langfristig zum Erfolg führen. Ob nur eine oder beide Therapieformen infrage kommen, hängt von der individuellen Situation des Betroffenen ab.
Psychotherapie
Aufgabe des behandelnden Psychologen ist es, den Grund bzw. die Gründe für die seelischen Probleme und somit oftmals auch Auslöser für die Anorexie herauszufinden. Doch nicht nur die Ursachen, sondern auch die Folgen der Magersucht werden intensiv besprochen. Bei magersüchtigen Kindern werden zudem die Eltern mit einbezogen, da sie ein wichtiger Baustein der Behandlung sind. Neben intensiven Gesprächen durch eine Psycho- und kognitive Verhaltenstherapie kümmert sich der Therapeut aber auch die Wiederherstellung des Selbstbewusstseins und der Selbstwahrnehmung. Hierfür werden zum Beispiel Bewegungs-, Sport-, Tanz-, Entspannungs- oder Atemtherapien eingesetzt.
Ernährungstherapie
Während der Ernährungstherapie lernen die Betroffenen, in erster Linie ihre Nahrungseinschränkung bzw. Nahrungsverweigerung abzulegen. Ziel ist es, wieder normal essen zu können und das Körpergewicht zu erhöhen. Hierbei lernen Magersüchtige wie Sie wieder Struktur in ihre Mahlzeiten bekommen, normale Portionsgrößen zu sich zu nehmen und das essen von „verbotenen“ (kalorienreiche, zuckerhaltige) Lebensmittel wieder in den Speiseplan zu integrieren. Die Ernährungstherapie wird oftmals auch von Sozialpädagogen begleitet. Sie unterstützen bei dem Wiedereinstieg in den Beruf oder in die Schule und helfen dabei soziale Kontakte aufzubauen.
Die jeweiligen Therapien finden entweder ambulant, teilstationär oder stationär statt. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass eine rein ambulante Therapie bei Magersüchtigen nur mäßigen Erfolg hat. Grund hierfür ist, dass das Essverhalten nur sehr geringfügig kontrolliert werden kann. Deutlich besser und erfolgversprechender funktionieren dagegen die teilstationäre und rein stationäre Therapie. Diese finden in auf Essstörungen spezialisierte Kliniken oder Wohngruppen statt.
Wie können Angehörige bei Magersüchtige helfen?
Viele Erkrankte versprechen immer wieder zu essen und halten es dann nicht ein. Auch das Lieblingsessen zu kochen bringt nicht den gewünschten Erfolg. Ein Umstand, den insbesondere Eltern, Freunde oder Kollegen für eine lange Zeit und mit viel Geduld aushalten. Schließlich kann man niemanden zum Essen zwingen und der Körper holt sich schon irgendwann, was er braucht. Leider ist dies jedoch eine absolute Fehleinschätzung und nur bis zu einem gewissen Grad richtig.
Angehörige und Freunde eines an Anorexie erkrankten Menschen sollten somit nicht allzu geduldig sein, sondern möglichst schnell und konsequent handeln. Dabei ist aber auch Vorsicht geboten. Denn wer zu viel Druck ausübt, drängt Magersüchtige mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Enge. Solange Sie es nicht schaffen, die magersüchtige Person davon zu überzeugen, dass sie krank ist, ist es nahezu unmöglich effektiv zu helfen.
Doch nicht nur Magersüchtige brauchen Hilfe. Auch die Situation der Angehörigen ist nicht immer einfach und fallen bereits nach kurzer Zeit in eine Art Co-Abhängigkeit. Aus diesem Grund sollten sich auch Großeltern, Eltern, Geschwister oder enge Freunde Hilfe suchen und diese auch annehmen. In Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen für Anorexie Patienten werden oftmals auch spezielle Sprechstunden oder Therapien für Angehörige angeboten.
Dort lernen Sie unter anderem, wie Sie sich gegenüber einem Magersüchtigen richtig verhalten und warum Sie eine erkrankte Person auch mal loslassen müssen, sondern auch wie Sie sich selbst Grenzen setzen und wieder zu sich selbst finden.